Pfingstdialog Geist & Gegenwart 2017: Europe.USA.3.0
Statement zur Eröffnung von Superintendent Hermann Miklas
Als Theologen reden wir ja gern über Wunder aus vergangenen Tagen – gegenüber angeblichen Wundern aus der Gegenwart hingegen bewahren wir uns lieber eine gesunde Portion Skepsis. Angesichts der Themenauswahl für den diesjährigen Pfingstdialog muss ich dem Programmbeirat allerdings neidlos eine gewisse prophetische Gabe konzedieren. Die Themenwahl hätte aktueller kaum sein können! Und das zu einem Zeitpunkt, wo das ja noch keineswegs so klar sein konnte wie heute. Ich möchte an dieser Stelle trotzdem einen Schritt hinter die Tages-Aktualität zurückgehen und zwei grundsätzliche Anmerkungen zum Thema machen: Nämlich eine zum Verhältnis zwischen Europa und den USA – und eine zweite zur gemeinsamen Aufgabe dieser beiden Kulturen.
Zum ersten. In den USA hat sich Europa ja sozusagen „neu erfunden“. Es war das interessante Phänomen, dass man die europäischen Grundwerte (fußend auf dem jüdisch-christlich-hellenistisch-römischen Fundament) genommen und auf einen anderen Kontinent verpflanzt hat – allerdings ohne die „Fesseln“ der Tradition und der Geschichte mit zu nehmen. Transferiert wurde also nur der reine status quo der europäischen Werte ohne den Ballast bzw. auch ohne das reiche Erbe der Geschichte. (Das Unrecht an der indigenen Bevölkerung Amerikas sei dabei jetzt einmal ausgeklammert.)
Nun: Aus dieser Neu-Erfindung Europas ist eine höchste erfolgreiche Nation geworden, ja schließlich sogar eine der (wenn nicht sogar die) führende Weltmacht. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter ist dabei ein enges geblieben, wenn auch ein ambivalentes; getragen sowohl von gegenseitiger Bewunderung wie auch von gegenseitigem Naserümpfen. Etwas plakativ gesagt: Europa bewundert die amerikanische Effizienz, aber rümpft die Nase über die mangelnde Kultur, Amerika bewundert die ehrwürdige europäische Patina, aber schüttelt den Kopf über so manche verzopfte, ineffiziente Strukturen in good old Europe.
Dennoch ist das verbindende, gemeinsame Band ein starkes. Man bildet miteinander die „westliche“ Welt.
Und das ist nun mein zweiter Punkt. Dieser Westen fühlt sich bis heute gewissermaßen als der Nabel der Welt. Aus westlicher Sicht ist der Rest unseres Planten bloß eine Art „Kuriositätenkabinett“ von eigenartigen Kulturen: zum Teil wohl folkloristisch interessant, mitunter auch bedrohlich, manchmal witzig, meist aber einfach nur strange… Durch mindestens zwei Jahrhunderte meinte man, es sich leisten zu können, vom hohen Turm der moralischen Überlegenheit abschätzig auf alle „Anderen“ hinabblicken zu können; viele von ihnen in den Augen des Westens „Entwicklungsländer“, wie immer man das politisch korrekt auch verbrämen mochte.
Seit Kurzem allerdings erleben wir, dass diese Grundordnung der Welt zu bröckeln beginnt:
China lässt sich das nicht mehr bieten
Auch Russland meldet sich lautstark auf der Weltbühne zurück
Afrika probt den Ausstieg aus dem Kolonialismus auf seine Weise
Aber vor allem die muslimische Welt, die seit Napoleons Zeiten vom Westen mit unverhohlener Geringschätzung betrachtet wurde, lässt sich das nicht mehr länger gefallen; das „Imperium schlägt nun zurück“.
Doch das ist nur die eine Seite des Dramas. Denn zu allem Überfluss bekommt auf der anderen Seite (nämlich bei uns im Westen) gleichzeitig die Fassade der moralischen Überlegenheit ebenfalls immer deutlichere Risse, wenn nationalistische Bewegung unsere so hoch gelobte Demokratie von innen heraus aushöhlen können und wenn dieses demokratische System geradezu clowneske Figuren an die Spitze der Macht spült.
M.a.W.: Es gerät derzeit fast alles gleichzeitig lawinenartig ins Rutschen – und das ist nicht ungefährlich. Nun kann man zwar versuchen, da und dort in den Rutschhang ein paar Lawinenfangnetze einzubauen – und das ist nicht nichts! Aber es ist doch nur eine provisorische Maßnahme. Was auf Dauer aber wirklich nötig ist, ist, dass der Westen (und zwar ganz bewusst Europa und die USA gemeinsam) vom hohen Ross der oberlehrerhaften Besserwisserei heruntersteigt und mit dem Rest der Welt einen Dialog auf gleicher Augenhöhe beginnt – auf der gemeinsamen Suche nach globalen Lösungen. Nicht unter Aufgabe der eigenen, der Aufklärung verpflichtenden Identität, wohl aber in achtsamem Respekt auch vor der oft Jahrhunderte alten Kultur anderer Identitäten.
Gerade, wo wir doch so stolz sind auf das „Christlich-Abendländische“ unserer Tradition, würde es uns wohl anstehen, auf die Worte Jesu zu hören, der sagt: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein; denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; wer sich aber selbst erniedrigt, der wird erhöht werden“ (Matthäus 23,11 f.)
Mir ist völlig klar, dass das kein einfaches Rezept für rasche Lösungen ist. Ganz im Gegenteil. Langfristig allerdings halte ich einen solchen Dialog der Kulturen auf gleicher Augenhöhe dennoch für alternativlos.
Ich wünsche Ihnen, wünsche uns, spannende Diskussionen in den kommenden Tagen!