Literarisch-kulinarischer Abend 2025

Hugo Fuka

Hugo Fuka
und sein Team

Küchenchef
Schloss Seggau

Lojze Wieser

Lojze
Wieser

Host
Publizist, Verleger und
leiden­schaftlicher Kulinariker

Challenge – Herausforderung

Einleitung zum Abendessen am 4.6.2025
Lojze Wieser

 

Jedes Essen ist eine Herausforderung. Um diese anzunehmen – und sie zur Zufriedenheit für den und die Bekochten und sich selbst zu machen – bedeutet, dass man sich ins Wesentliche der Kulinarik und des gesellschaftlichen Daseins begeben soll. Der Dichter Milan Rúfus fragte sich einmal, was ein Gedicht sei:

Auf den Tisch etwas Klares stellen, wie Brot / Oder Wasser. Oder / zwischen zwei Finger Salz. (…) Wenn die Forellen den Jordan heraufziehen werden / keine Angel kaufen, doch wissen, dass der Fluss nicht nur / aus Fischen besteht. // Dass er um vieles mehr ist. / Wie das Gedicht mehr ist als Worte //

So ist es mit den Speisen auch: In ihnen verbirgt sich mehr als bloß die Vermengung von Zutaten, geht es doch um die Harmonie: ums Einswerden von Körper und Seele. Die Kraft zur Meisterung des Alltags erwächst aus der Widerspiegelung der Strukturiertheit der Natur auf dem Teller wo sie zur Harmonie zwischen Speise und Mensch wird.

Das heute von Hugo Fuka und mir zusammengestellte Menü hat Herwig Hösele als „klug“ bezeichnet. Wie nähert man sich dem Generalthema der Veranstaltung, um ihr auch kulinarisch eine besondere Note zu geben? Sie werden sich durchkosten und selbst ein Bild machen. Ich bitte Sie, meiner kleinen Einführung zu folgen.

Am Tisch eingestellt werden Sie eine Gewürzmischung vorfinden, die Sie auf die Menüfolge vorbereitet. Nehmen Sie die Gewürze ruhig zwischen die Finger: Koriander, Kümmel, Fenchel, Zitrus- und Orangenschalen, ein wenig grobes Salz: Der Appetit wird angeregt, die Kapillaren und das Gehirn erwachen und teilen dem Körper mit: „Die Zeit des Feierns, die Zeit des Genusses ist gekommen! Sei bereit! Bediene dich, vor und während des Essens und danach!“

Hildegard von Bingen wusste schon über die wohltuende Wirkung der heimischen und fremden Gewürze, mitgebracht von Reisenden, wie Odorich von Pordenone oder Marco Polo im Mittelalter. Am Balkan ist der Gebrauch von Kräutern bis heute weit verbreitet, sie wurden schon frühzeitig von Karl dem Großen in die Klostergärten gebracht. Von den Osmanen wurden sie als Heilkräuter und Gewürzmittel in ihren Feldzügen mitgeführt, von Paracelsus die gesundheitliche Seite erläutert – Zitat: „Gott hat niemals eine Krankheit entstehen lassen, für die er nicht auch eine Arznei geschaffen hat“, von Kneipp im Bauerngarten aufs Wesentliche reduziert.

Wir haben aus heutiger Sicht eine Epoche hinter uns, die uns beharrlich zu erklären versuchte, dass es „nationale Speisen“ gäbe. Je länger man jedoch darüber nachdenkt, desto klarer wird, dass wir es immer nur mit Übergängen, Flurbereinigungen oder Berührungen zu tun haben. Nie, nirgendwo waren es nur heimische, nur hiesige Zutaten. Sie kamen oft von weit, um zu bleiben. Unsere Großmütter und Mütter haben gezaubert und aus dem, was sie vorfanden, unter den Bedingungen, die ihnen die sauren Wiesen, die feuchten Gräben, die trockenen Böden, der Glaube oder die gelebte Kultur angeboten haben, was sie dem Boden abgerungen und von ihm genommen haben, haben sie wohlschmeckende Speisen kreiert. Ob sie in bergiger Gegend, im Flachen oder am See oder am Meer zu überleben hatten, war entscheidend dafür, was in den Kochtopf kam. Daraus haben sie in der Regel ein Universum geschaffen, das unsere Kindheit prägte und uns bis heute bei der Suche nach dem Kindheitsgeschmack begleitet. Aus den Bestandteilen der Gegend, in der wir groß geworden sind, setzen sich die prägenden Geschmäcker zusammen.

Das heißt, dass ethnische und lokale Besonderheiten auf die Ernährung – und die Gesundheit – Einfluss haben. Mit der Frage von Ernährung, den gesundheitlichen Folgen und deren Ursprung setzt sich auch Claude Diolosa, einer der großen Wegbegleiter der TCM in Europa, auseinander. Er schreibt, dass es – Zitat „Pathologien (gibt), die eng mit der ethnischen Zugehörigkeit verbunden sind. Sie sind die Folgen von Ernährungsgewohnheiten, sozialen, politischen, religiösen und erzieherischen Einflüssen, das, was wir das kollektive Gedächtnis der Völker nennen. (…) Es ist daher wichtig, immer die (ethnologische) Herkunft des Patienten, seine Ernährungsgewohnheiten, das soziale, politische und religiöse Umfeld, in die seine psychologische und physiologische Struktur eingebettet ist, zu berücksichtigen, um eine ganzheitliche Sicht (des Patienten) zu erhalten.“ Paracelsus formulierte es kurz und bündig: „Man ist, was man isst.“

Aus den heutigen Vorspeisen greifen wir drei heraus: Den Griechischen Salat, den Zitronensalat mit Petersilie aus Sizilien und die Salbeiblätter, Liebstöckelblätter und Petersilienblätter im Backteig, wie wir sie aus dem mediterranen Raum kennen.

Hirten-Salat, Šopska salata und Čoban Salat
Der Hirten-Salat ist ein „geschenkter Salat“. Die Hirtenvölker des Balkans haben uns unter verschiedenen Namen einen Salat gebracht, der einfach und zugleich schmackhaft ist. (Tomaten und Gurken zu gleichen Teilen, grüne und rote Paprika, leicht scharfer Pfefferoni, Jungzwiebel, grob gehackt, Salz, Pfeffer, Essig, Öl, Feta und/oder junger Schafskäse). Bei den Griechen heißt er Griechischer Hirtensalat, der mit groben Stücken Käse bestreut wird, bei den Bulgaren ist es der Schopen, mit fein geriebenem Schafskäse, den wir seit je mit Genuss in Serbien, in Bosnien und auch Slowenien essen. Jahrzehntelang galt er als „typisch jugoslawischer“ Urlaubs-Salat. Bei den Türken ist es der Čoban-Salat, was wiederum nichts anderes als Hirten-Salat heißt. Die Schopen, eine kleine sprachliche Enklave im bulgarisch-mazedonisch-serbischen Raum wurde namensgebend für den Salat. Schafhirten hatten Käse und Gemüse zur Genüge und brachten sich damit über die Sommermonate.
Der sizilianische Zitronensalat: Vier Zitronen grob würfeln, vier weitere auspressen, mit viel Petersilie vermischen und mit Salz und Olivenöl vermengen und, wenn man will, mit gehackten Mandeln bestreuen. Fertig ist der frische sommerliche Zitronensalat. Statt Zitronen kann man auch unbehandelte Cedri in Scheiben nehmen. Antioxidantien und Sommer pur!

Kräuter in Bierteig. Der flüchtige Frühling, im Sommer angekommen, der voll Blüten und sprießenden Blättern ist, der Verführer und der Verlocker, der einem lange Zähne macht und der in Überschwang mit allem, was er hat um sich wirft; dieser Frühling hat ein ganz schönes Geschenk an uns weitergegeben: Man nehme was an zarten frischen Blättern gerade griffbereit ist: Brennnesseln, Hainbuchen, Birken, Liebstöckel, Petersilie, Salbei, umhülle sie mit Bierteig und lasse sie ein Bad im heißen Schmalz nehmen, bis sie goldbraun unseren Gaumen erfreuen …

Schon allein aus den bisher geschilderten kleinen Vorspeisen, auch Meze genannt, könnte man eine (von vielen) Definitionen des Kontinents Europa ableiten – wenn man kaleidoskopartig auf Europa und die Kulinarik schaut. Man kann daraus aber auch nationalistische Missverständnisse konstruieren und das Eigene über den Anderen stülpen! In den meisten Fällen handelt es sich um ähnliche, man könnte sagen, um verwandtschaftliche Geschmäcker, die regional ihre Besonderheit entwickeln, auf die man auch mit geschwellter Brust stolz sein darf – weil wir Mangel in Reichtum verwandeln!

Die „Geschmacksverwandtschaften“ wurden übrigens erstmals beim Pfingstdialog „Geist & Gegenwart“ 2009, hier in Seggauberg in der Steiermark, aus der Taufe gehoben. Die Küche zauberte damals 70 verschiedene Speisen und reichte über 30 herrliche Tropfen rund um – und aus Europa. Wir trafen auf den Mangel, aus dem ein unversiegbarer Reichtum an Rezepten und eine Vielfalt an Geschmäckern hervorging. Wir erfuhren, dass die Cucina Povera keine italienische Besonderheit ist! Und wir konnten sehen, dass so manche verlorengegangenen Erfahrungen, die die einfachen Köchinnen europaweit in ihren Speisen anzuwenden wussten, ein Reservoir an Wissen und Erfahrung birgt, das man teilen und nicht brach liegen lassen braucht. Diese flossen später in die dreißigteilige ORF-Filmreihe „Der Geschmack Europas“ ein, die ab 2013 zur Gesamterzählung in Bildern wurden.

Alles was sich politisch, religiös und gesellschaftlich abspielt, findet im Grunde genommen auch seinen Niederschlag im Suppentopf. Und dieser ist in gewisser Weise ein Biotop, gerade in der heutigen Zeit, wo so viele Menschen in Bewegung gekommen sind, weil sie – aus verschiedenen politischen, kriegerischen, aus religiös-fundamentalistischen Gründen – meist auf der Suche nach Essbarem, nach Kartoffeln, statt der zerbombten Häuser und Äcker oder leergefischten Küstenmeeren sind. Die gesamte Geschichtsepoche der Menschheit ist von Flucht und von den damit gemachten Erfahrungen bestimmt und mitgeprägt.

Rufen Sie sich in Erinnerung: Im 19. Jahrhundert mussten gut 60 Millionen Menschen Europa verlassen. Es blieb nicht auf Europa beschränkt. Das „Zeitalter der Massenmigration“ erfasste neben den Europäern auch Inder, Chinesen u. v. a. in einem ähnlichen großen Maßstab und – Gott sei Dank – nicht überall trafen sie auf Einreisebeschränkungen.

Auch die Speisen haben sich in dieser Zeit verändert. So wurde z. B. aus dem jüdischen Tcholent die Šelinka im Karst und die Jota in Carnien, die mit lokalen Händlern wieder in den Karst wanderte. Daraus wurde bei uns der Ritschert. Der Tscholent knüpft sowohl an mediterrane Kochtraditionen als auch an tausendjährige alpine Zutaten an, die ähnliche Gerichte hervorbrachten.

Kulturell spezifische Merkmale halten sich offensichtlich über Jahrhunderte, auch wenn von der Sprache und ihren dahinterliegenden Wurzeln nichts Sichtbares mehr erhalten geblieben ist. Und doch merkt man sie in den Dialekten, den Flurnamen und – in traditionellen Essgewohnheiten und Rezepturen von Speisen, was man Anhand des Tscholent/Ritschert/Ričat Geschichte miterleben kann. „Jeder Mensch trägt die Unendlichkeit in sich. Und zwar dank sprachlicher Regeln, die wir alle tagtäglich befolgen“, sagt der Linguist Noam Chomsky. Die geschmackliche Erinnerung ist eine weitere dieser Unendlichkeiten, die das Überleben der Menschen erst möglich macht.
Was lernen wir daraus? Auch Hollywood ist entstanden, weil man den europäischen, oft jüdischen (aber nicht nur) Einwanderern verboten hat, in traditionellen Branchen zu arbeiten und schob sie auf – damals vermeintliche nicht lukrative Gebiete – wie die Produktion und Vorführung von Filmen, meist in den leer geräumten Tuchläden, die dahin marodierten. Heute würde man Start-ups dazu sagen. Und Edison hat in seinem Geiz, fürs europäische Patent seiner entwickelten Kamera 150 Dollar auszulegen, am falschen Platzt gespart. So kamen die in Europa nachgebauten Kameras zu den Überlebenssuchenden in Kalifornien, wo sie lizenzfrei in ihren sonnenumfluteten Studios einen bis heute anhaltenden Erfolgskurs einschlugen.

Es macht Sinn, sich der Erfahrungen unserer Großmütter und Mütter zu besinnen, die seit jeher die von Generälen und Politikern in den Sand gesetzten Karren wieder flottgemacht und immer wieder aus den Katastrophen lebenswerte Zeiten geschaffen haben. Ihr Wissen, ihr Können und ihre Weitsicht ist in der Vergangenheit unser Garant gewesen und wird uns allen heute hilfreich sein, aus den selbstverschuldeten Katastrophen Auswege zu finden. Daher bin ich dafür – nebenbei gesagt – dass allen Großmüttern und Müttern der Welt der Friedensnobelpreis zugesprochen wird. Das würde auch die Kriegssprache, die allerorts immer lauter und penetranter wird, zurückdrängen und die Friedenssprache wieder hörbarer werden lassen.

Alte Erfahrungen brauchen neue Anwendungen, die das gemeinsame, bunte Zusammenleben an einer dampfenden Tafel zum Genuss werden lässt, uns neuen Wein aus alten Schläuchen einschenkt und uns auf die Zukunft trinken lässt.
Mit einer knappen, aber umso klareren Feststellung über die Weisheit des Essens von Carl Georg von Maassen, die er vor 100 Jahren getroffen hat, auch in der Hoffnung, das Gehirn und die Geschmacksnerven angeregt zu haben, möchte ich Sie nun bitten, nach den bosnisch-serbischen Sefdalinkas, zur Tafel zu schreiten. Entscheiden Sie für sich, welcher der drei folgenden Kategorien Sie sich zugehörig fühlen wollen.

„Der Gourmand ist begierig auf alles, was gut schmeckt, ohne Rücksicht auf die Gesundheit, auf das Maß und die Gesetze der Grazien. Er gibt, wenn er vollgefüllt ist, auf ferneres Zureden zum Zulangen allenfalls die wehmütige Antwort: Ich danke, und wenn es Gift wäre, so gern ich sterben möchte. Der Gourmet ist bloß lüstern, doch nur nach alledem, was Zunge und Auge anlockt. Aber der Gastrosoph wählt aus dem Guten das Beste, in schönster Form, mit gewissenhafter Rücksicht auf Gesundheit und Schicklichkeit."

(Weisheit des Essens. Ein gastronomisches Vademekum von Carl Georg von Maassen; Kurt Wolff Verlag, München, 1928).

 

Ich wünsche Ihnen jedenfalls Mahlzeit. Dober tek! Buon appetito! Enjoy your meal!